Als Boeing seine 787 „Dreamliner“ vor acht Jahren entwickelt hatte, war bei den Flügeltanks ein spezieller Schutz vorgesehen. Es war nichts, was technisch anspruchsvoll wäre: Die Schrauben in den Tragflächen erhielten isolierende Schutzkappen und in die Abdeckung der Flügel aus Verbundwerkstoffen wurde Kupferfolie als eigentlicher Blitzableiter eingelassen.
Vor fünf Jahren jedoch hatte Boeing laut einem Bericht der Zeitung „The Seattles Times“ still und leise damit aufgehört, die Schutzkappen anzubringen. Dann ging der Luftfahrtkonzern einen Schritt weiter: Im März dieses Jahres stoppte Boeing den Einbau der Kupferfolie in die Tragflächen. Diese beiden simplen Schutzvorrichtungen fehlen laut der Zeitung bis heute bei allen „Dreamlinern“, die seitdem ausgeliefert wurden.
Die Aufsichtsbehörde FAA hatte zunächst protestiert, schreibt „The Seattle Times“: Obwohl Vorschriften dies erfordern, habe Boeing nach den Änderungen nicht nachweisen können, dass die Entflammung von Kerosindämpfen in den Flügeltanks bei einem Blitzeinschlag extrem unwahrscheinlich sei.
Da ein Auslieferungsverbot für die 787 drohte, legte Boeing Einspruch ein. Eine Woche später zogen FAA-Manager die Bedenken zurück – nur wenige Tage vor dem zweiten Crash einer Boeing 737 MAX, so „The Seattle Times“.
Ein Chef-Ingenieur der FAA, Thomas Thorson, beschwerte sich jedoch, denn offensichtlich ließ die Aufsichtsbehörde die Änderungen an der Blitzabsicherung nur durch, damit Boeing seine bereits gebauten 787 ausliefern konnte. Circa 40 Tragflächen-Sets hatte der Flugzeugbauer seit der Änderung produziert.
„Ich bin nicht einverstanden damit, dass Auslieferungstermine Einfluss nehmen auf unsere Sicherheitsentscheidungen.“ Die Vorgehensweise entspreche nicht „unseren Sicherheitsgrundsätzen“, schrieb Thorson laut dem Blatt.
Die Entscheidung in Bezug auf die 787 traf die FAA, als es Boeing unbedingt darum ging, die Produktionskosten zu senken. Das erinnert an die fatalen Vorgänge bei der Zertifizierung der 737 MAX, die die Aufsichtsbehörde größtenteils nicht auf die eigenen Fachleute, sondern an Boeing selbst übertragen hatte.
In einem Statement erklärte Boeing laut der Zeitung, die 787 verfüge über weitere Maßnahmen zum Schutz vor Blitzeinschlägen. Die Änderungen seien sorgfältig abgewogen worden. Die FAA habe sie „gründlich geprüft und zugelassen“.
Der Sicherheitsexperte Thorson bemängelte jedoch Fehler darin, wie Boeing die Risiken einschätzte, und erklärte, die Gefahr einer Entzündung des Treibstofftanks könne nach der Entfernung der Kupferfolie „nicht als extrem unwahrscheinlich“ angesehen werden. Die Sicherheitslage der Boeing 787 im Zusammenhang mit dem Blitzschutz sei vielmehr als „potenziell unsicher“ einzustufen.
Dies betrifft auch das größte Modell des „Dreamliners“: die 787-10, die Boeing im Juni dieses mit dem Wissen der FAA an die niederländische KLM ausgeliefert hat.
Erst nachdem der Verkehrs- und Infrastrukturausschuss des Repräsentantenhauses auf das Problem mit dem Blitzschutz des „Dreamliners“ aufmerksam geworden war, hat das FAA-Management reagiert.
In einem Schreiben an Boeing vom letzten Oktober räumt die Aufsichtsbehörde laut der Zeitung ein, es gebe Bedenken, dass die Folgen eines Blitzeinschlags bei der 787 schlimmer sein könnten, als es die Vorschriften erlauben. Der Luftfahrtkonzern sei aufgefordert, eine erneute Risikobewertung in Bezug auf den Blitzschutz der 787 vorzunehmen.
Hintergrund:
Ein Passagierflugzeug wird im Schnitt einmal pro Jahr von einem Blitz getroffen, in manchen Regionen auch häufiger. Bei einer Maschine mit einer traditionellen Metallzelle bleiben die Auswirkungen minimal, weil der Blitz über die Metallhülle des Flugzeugs bis auf die Erde abgeleitet wird.
Eine Flugzeugzelle aus Verbundwerkstoffen weist eine deutlich geringere Leitfähigkeit auf. Deshalb sind sorgfältige Schutzmaßnahmen erforderlich, um zu verhindern, dass der Blitz mit ganzer Kraft auf den Einschlagspunkt einwirkt.
Vor zwei Jahren wurde eine 787 der British
Airways kurz nach dem Abflug in London von einem
Blitz getroffen. Als die Maschine am Zielort in
Indien landete, wurden 40 Einschlagslöcher im
Flugzeugrumpf festgestellt. >
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