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Yehuda Bauer: Der Hüter meines Bruders

Eine Geschichte des Amerikanischen Jüdischen Vereinigten Verteilungskomitees 1929-1939

[Holocaust-Vorbereitungen in Europa und Widerstand ohne Lösung der Situation]

aus: My Brother's Keeper. A History of the American Jewish Joint Distribution Committee 1929-1939; The Jewish Publication Society of America, Philadelphia 1974

Übersetzung mit Untertiteln von Michael Palomino (2007)

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Kapitel 6. Der Beginn vom Ende
[B. Die Massnahmen der Schweiz gegen die Auswanderungswelle im Frühjahr 1938]

[6.5. Die erste Auswanderungswelle aus Österreich und Italien: Die Schweiz übergibt viele Juden den Nazis]

Viele Juden warteten nicht - oder konnten nicht - auf eine Ausreisegenehmigung der Israelitischen Kultusgemeinde IKG warten. In der ersten Panik flohen Tausende aus Österreich. Sie wurden dabei von den Nazis oft über die Grenze gejagt, vor allem durch SA und SS-Einheiten. Die CSSR, Ungern und Jugoslawien, die Länder, die eine gemeinsame Grenzen zu Österreich hatten, schlossen ihre Grenzen. Obwohl der illegale Grenzübertritt speziell gefährlich war, gelang es einer kleinen, aber unbekannten, Anzahl Juden, die Grenze zu passieren. Andererseits war es relativ einfach, nach Italien oder in die Schweiz zu gelangen. Reisende mit einem österreichischen Pass brauchten dafür kein Visum. Während der ersten paar Wochen nach dem Anschluss gelangten so über 3000 Flüchtlinge, meist Juden, in die Schweiz.

(Endnote 21: Ludwig, op. cit. [Ludwig, Carl: Die Flüchtlingspolitik der Schweiz seit 1933 bis zur Gegenwart. Bericht an den Bundesrat; Zürich, ohne Datum [1957], S.75

[Ergänzung:
Die Juden, denen die Flucht gelang, mussten den Schleppern dafür zahlen. Nur reiche Juden konnten sich eine eigenmächtige Flucht leisten. Die Schmuggler (Österreicher und Schweizer) machten mit dem Schmuggeln dieser Flüchtlinge einen guten Gewinn. Es waren vor allem Juden, aber auch Sozialisten und andere].

[Die schweizer Regierung fordert Visa wegen der Gefahr, dass der Antisemitismus steigen könnte]

Die schweizer Reaktion über den Flüchtlingsstrom war geteilt. Am 26. März [1938] verlangte das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement von der Regierung (S.229)

(Bundesrat) einen Erlass, dass die Besitzer von österreichischen Pässen nur noch mit Visas in die Schweiz kommen können. "Wir müssen uns selbst mit allen unseren Mitteln verteidigen, sogar mit Massnahmen der Rücksichtslosigkeit gegen den Zustrom ausländischer Juden, speziell aus dem Osten, wenn wir einen begründeten Boden für eine antisemitische Bewegung vermeiden wollen, die unserem Land abträglich wäre."

(Endnote 22: ebenda [Ludwig, Carl: Die Flüchtlingspolitik der Schweiz seit 1933 bis zur Gegenwart. Bericht an den Bundesrat; Zürich, ohne Datum [1957], S.76)

[Ergänzung:
Das Argument, dass eine Antisemitismuswelle bevorstehen würde, ist nicht glaubwürdig, denn es war die Oberschicht, die in der Schweiz am antisemitischsten war und von Arisierungen profitierte, im Schutze des Bankgeheimnis, das von den antisemitischen Bankiers der Oberschicht installiert worden war. Die Oberschicht in der Schweiz hatte somit allen Grund, ihren eigenen Antisemitismus vor den Juden geheimzuhalten, und deswegen war jeder jüdische Flüchtling im Land zu viel...]

[Der schweizerische Visakampf gegen österreichische Juden]

Die Verteidigung "mit allen unseren Mitteln" gegen fliehende Flüchtlinge, die um ihr Leben rannten, war wirklich erfolgreich: Am 28. März erliess der Bundesrat einen Beschluss, dass für die Besitzer österreichischer Pässe Visas erforderlich seien. Am 8. April informierte ein Rundschreiben der Eidgenössischen Fremdenpolizei die kantonalen Polizeidepartemente, dass - auch wenn sehr triftige Gründe dafür sprachen, dass die Flüchtlinge bleiben könnten - diesen gesagt werden müsste, das Land zum frühest möglichen Zeitpunkt wieder zu verlassen. Nichtsdestotrotz waren diese strengeren Bestimmungen kein Gewinn,

[Seit Mitte Mai 1938: Schweizer und deutsche Regierung schieben Juden hin und her]


und ab ungefähr Mitte Mai 1938 wurden jüdische Gruppen an die schweizer Grenze gebracht, es wurde ihnen alles Hab und Gut genommen, sie wurden an der Grenze in Nazi-Gefängnissen gehalten, und dann wurden sie in der Nacht wieder auf schweizer Territorium herübergeschickt. Eine Rückkehr nach Österreich bedeutete die unmittelbare Bedrohung mit Behandlung im Konzentrationslager.

Der schweizer Polizeichef, Dr. Heinrich Rothmund, fragte ernsthaft bei der deutschen Regierung an, diesen Deportationen in die Schweiz ein Ende zu bereiten, "dass diese Juden ebensowenig braucht wie Deutschland."

(Endnote 23: ebenda [Ludwig, Carl: Die Flüchtlingspolitik der Schweiz seit 1933 bis zur Gegenwart. Bericht an den Bundesrat; Zürich, ohne Datum [1957], S.82, Fussnote 1; Ludwig gibt an (S.83), dass vor dem 1. April 3-4000 österreichische jüdische Einwanderer in der Schweiz waren).

[Ab 1. April 1938: 2000 weitere jüdische Flüchtlinge und illegale Flüchtlinge kommen in die Schweiz - gesunde Flüchtlinge - schweizer Konsulat]

Nach dem 1. April scheint es noch einmal einen Zustrom von weiteren 2000 Flüchtlingen gegeben zu haben, die ohne Visas die Schweiz erreichten, und zusätzlich eine Anzahl Illegaler. Ausserdem waren da auch gesunde Flüchtlinge, die eine offizielle Einreiseerlaubnis ins Land besassen. In Tat und Wahrheit scheint das schweizer Konsulat in Wien liberaler im Gewähren von Einreisebewilligungen gewesen zu sein, als es durch die Instruktionen von der schweizer Regierung befugt gewesen wäre.

[Ab 1938: Antisemitische Propaganda in Italien provoziert den Zustrom von ungefähr 3000 jüdischen Flüchtlingen in die Schweiz]

Ein ähnlicher Zustrom von österreichischen Flüchtlingen nach Westeuropa - Frankreich, Holland, Luxemburg und Belgien, provozierte dort ähnliche Reaktionen. Von Italien aus, wo die rassistische Propaganda unter dem deutschen Einfluss ab 1938 begann, versuchten verzweifelte Flüchtlinge, in die Schweiz zu gelangen; offensichtlich ist dies ungefähr 3000 auch gelungen.

(Endnote 24: ebenda [Ludwig, Carl: Die Flüchtlingspolitik der Schweiz seit 1933 bis zur Gegenwart. Bericht an den Bundesrat; Zürich, ohne Datum [1957], S.84)

[Sommer 1938: Die schweizer Regierung übergibt jüdische Flüchtlinge den Nazis]

Aber als der Sommer nahte, begannen alle westlichen Länder, ihre Grenzen gegenüber diesen Flüchtlingen zu schliessen, und die Schweiz begann, die Flüchtlinge, die beim illegalen Grenzübertritt gefasst worden waren, an Deutschland zurückzugeben. (S.230)







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